Formen der Hämophilie

Formen der Hämophilie

Was ist Hämophilie?

Hämophilie ist eine genetisch bedingte Störung der Blutstillung. Das bedeutet, dass z. B. eine kleine Wunde bei Menschen mit Hämophilie sehr lange blutet oder gar nicht aufhört zu bluten. Der Begriff setzt sich aus den altgriechischen Wortteilen „haima“ (dt.: Blut) und „philia“ (dt.: Neigung) zusammen. Die Erkrankung ist auch unter dem Namen Bluterkrankheit bekannt, aber Betroffene sprechen lieber von Hämophilie und wollen auch selbst als Hämophile bezeichnet werden. In Deutschland gibt es aktuell etwa 10.000 Hämophile.

Hämophilie gilt nach wie vor als unheilbar. Trotz großer medizinischer Fortschritte ist die Erkrankung noch immer mit erheblichen Beeinträchtigungen für die Patienten verbunden.

Schweregrad der Hämophilie

Ein gesunder Mensch hat ca. 100 % Blutgerinnungsfaktor-Aktivität. Je nach Restaktivität der Gerinnungsfaktoren wird Hämophilie in die Schweregrade mild, mittelschwer und schwer unterteilt.

Prozent der normalen Gerinnungsfaktor-Restaktivität*

  • Leichte Hämophilie: mehr als 5 %
  • Mittelschwere Hämophilie: 1 % bis 5 %
  • Schwere Hämophilie: weniger als 1 %

* Die Restaktivität gibt an, wie groß im Verhältnis zum gesunden Menschen (100 %) die Aktivität des entsprechenden Faktors ohne vorherige Gabe eines Faktorpräparates (Substitution) ist.

Hämophilie tritt in verschiedenen Formen auf. Man unterscheidet zwischen vererbter und erworbener Hämophilie, den verschiedenen Schweregraden sowie den beiden Hauptformen Hämophilie A und Hämophilie B.

Hämophilie A/B

Die im Blut vorhandenen Faktoren werden überwiegend durch den Zusatz römischer Zahlen sortiert. Der für die Hämophilie typische Mangel betrifft den Faktor VIII (8) oder den Faktor IX (9). Man spricht hier auch von Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel) und Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel). Die beiden Hämophilie-Varianten zeigen unterschiedliche Ausprägungen. An Hämophilie erkranken fast ausschließlich Männer. Das liegt an der Art, wie die Erkrankung vererbt wird.

Hämophilie A kommt weitaus häufiger vor als Hämophilie B (ca. 85 % aller Hämophilen haben einen Faktor-VIII-Mangel). Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) leiden weltweit mehr als 400.000 Menschen an Hämophilie A.

Schaubild Gene 1

Schaubild Gene 2

von-Willebrand-Syndrom

Beim von-Willebrand-Syndrom (auch Willebrand-Jürgens-Syndrom genannt) handelt es sich um die häufigste angeborene Krankheit mit erhöhter Blutungsneigung. Die Ursache ist ein Fehler in der Erbinformation. Nur in sehr seltenen Fällen entsteht die Erkrankung spontan. Auch beim von-Willebrand-Syndrom gibt es unterschiedliche Ausprägungen. Im Gegensatz zu Hämophilie A und B können am von-Willebrand-Syndrom Frauen und Männer gleichermaßen erkranken.

Spontan erworbene Hämophilie

Ähnlich wie bei der klassischen Hämophilie handelt es sich hierbei um eine Gerinnungsstörung des Blutes, wodurch sich die Wunde nicht vollständig bzw. nicht schnell genug verschließt. Der Grund: Im Blut wird ein Gerinnungsfaktor durch körpereigene Antikörper blockiert. Die spontan erworbene Hämophilie unterscheidet sich von der klassischen Hämophilie im Wesentlichen dadurch, dass sie bei zuvor gesunden Patienten auftreten kann. Sie wird also nicht vererbt, sondern kann mit einer Schwangerschaft, mit Autoimmun- oder Krebserkrankungen sowie mit der Einnahme bestimmter Medikamente in Zusammenhang stehen. Frauen können ebenso betroffen sein wie Männer.

Die Inzidenz dieser Erkrankung liegt pro Million Einwohner bei ca. 1 bis 4 Neuerkrankungen im Jahr. Sie ist somit noch seltener als bspw. Hämophilie A, bei der 1 Patient auf 10.000 Einwohner kommt.

Sowohl für die akute Blutungssituation als auch zur Eliminierung der ursächlichen Antiköper gibt es inzwischen geeignete Therapien. Diese müssen sorgfältig auf die zugrunde liegende Begleiterkrankung und Symptomatik abgestimmt werden (mehr zur erworbenen Hämophilie).

Hemmkörper-Hämophilie

Die Bildung von Antikörpern gegen die therapeutischen Gerinnungsfaktoren gilt heutzutage als wichtigste Komplikation in der Hämophilie-Behandlung. Denn die Antikörper (auch Hemmkörper oder Inhibitoren genannt) neutralisieren die Gerinnungsfaktoren. Dadurch schwindet der Blutungsschutz und akute Blutungen sind wesentlich schwerer zu stoppen. Man spricht in diesen Fällen von einer Hemmkörper-Hämophilie.

Eine gängige Behandlungsmethode bei der Hemmkörper-Hämophilie ist die Immuntoleranz-Induktion. Mit ihrer Hilfe soll das Immunsystem an die Gerinnungsfaktoren gewöhnt werden, damit es keine Antikörper mehr produziert. Dies lässt sich durch die regelmäßige Gabe besonders hoher Dosen des therapeutischen Faktors erreichen. Um den Schutz vor Blutungen auch bei hohen Hemmkörper-Konzentrationen zu garantieren, kann gleichzeitig ein Bypassing-Präparat verabreicht werden, etwa der rekombinante Faktor VII (rFVIIa) oder aktiviertes Prothrombinkomplexkonzentrat (aPCC). Bypassing-Präparate umgehen jene Schritte in der Gerinnungskaskade, in denen die Faktoren VIII oder IX eine Rolle spielen. Mit ihrer Hilfe kann das Blut auch dann gerinnen, wenn ein Gerinnungsfaktor durch Antikörper neutralisiert ist. Eine neue Therapiemöglichkeit ist auch ein monoklonaler Antikörper, der die Funktion von Faktor VIII nachahmt, aber nicht von Hemmkörpern erfasst wird.

In der Regel werden Hämophilie-Patienten alle 6 bis 12 Monate auf die Entwicklung von Hemmkörpern getestet (mehr zum Thema Hemmkörper im Wissensarchiv).