Faktorpräparate

Faktorpräparate

Behandlung mit Faktorpräparaten

Hämophilie wird bereits seit Ende der 1960er Jahre mit Faktorpräparaten behandelt. Diese enthalten den Gerinnungsfaktor, der im Körper des Hämophilie-Patienten fehlt. Mediziner sprechen auch von einer Substitutionsbehandlung. Beispielsweise wird bei Hämophilie A der Gerinnungsfaktor VIII in die Vene injiziert, bei Hämophilie B der Faktor IX und beim Von-Willebrand-Syndrom der Von-Willebrand-Faktor (eventuell zusätzlich Faktor VIII).

Die Behandlung richtet sich auch nach dem Schweregrad der Hämophilie, der Anzahl und Schwere der Blutungen, dem Alter des Patienten sowie weiteren Kriterien. Grundsätzlich gibt es zwei Behandlungsansätze: die Bedarfsbehandlung (On Demand) und die vorbeugende bzw. prophylaktische Behandlung (Dauerbehandlung).

In jüngster Zeit werden auch sog. nicht-Faktor-basierte Therapien erforscht und entwickelt. Die Behandlung mit Faktorpräparaten gilt derzeit jedoch weiterhin als Standardbehandlung der Hämophilie.

Entwicklung

Für Menschen mit Hämophilie gibt es heute zahlreiche Präparate, die die Gerinnungsfähigkeit des Blutes wiederherstellen. Die Präparate enthalten den jeweils fehlenden Gerinnungsfaktor oder eine Kombination aus mehreren Faktoren. Zudem unterscheiden sie sich hinsichtlich der Art ihrer Herstellung und ihrer Wirkdauer. Die Entwicklung von Faktorpräparaten lässt sich in drei Generationen unterteilen.

Generation 1: Gerinnungsfaktoren aus humanem Blutplasma (H3)

Die erste Generation der Faktorpräparate wurde aus menschlichem Plasma gewonnen. Dieser zellfreie Anteil des Blutes enthält Proteine, darunter auch die Gerinnungsfaktoren. Die Herstellung von Faktorpräparaten ab den 1960er Jahren stellte einen enormen Fortschritt in der Hämophilie-Behandlung dar. Schnell wurden jedoch auch die Nachteile deutlich, die mit dieser Behandlung einhergingen.

Da die Blutspenden nicht systematisch auf Krankheitserreger untersucht wurden, infizierten sich viele Hämophilie-Patienten über verunreinigte Produkte. Bereits im Jahr 1982 wurde der erste Fall einer Infektion mit dem humanen Immunschwäche-Virus HIV durch ein Plasmapräparat bekannt. Auch Infektionen mit dem Hepatitis-C-Virus traten häufig auf.

Heute werden Plasmapräparate jedoch gründlich auf Krankheitserreger untersucht und gelten als sehr sicher.

Generation 2: biotechnologisch hergestellte Faktorpräparate (H3)

Mitte der 1980er Jahre entschlüsselten Wissenschaftler den genetischen Bauplan für den Faktor VIII und setzten damit einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung von Faktorpräparaten. Mithilfe biotechnologischer Verfahren schleusten die Forscher die genetische Information in tierische Zellen, die daraufhin menschliche Proteine produzierten.

Gerinnungsfaktoren, die mithilfe gentechnisch veränderter Organismen hergestellt werden, werden als rekombinante Gerinnungsfaktoren bezeichnet. Sie werden ohne den Einsatz von menschlichem Blutplasma gewonnen, sodass auch das Infektionsrisiko sehr gering ist.

Generation 3: verlängerte Halbwertszeit und weniger Injektionen

Einen weiteren großen Fortschritt in der Hämophilie-Therapie stellen Faktorpräparate mit verlängerter Halbwertszeit, sog. Extended-Half-Life(EHL)-Präparate, dar. Die Halbwertszeit gibt die Zeit an, in der sich die anfängliche Faktorkonzentration im Organismus genau um die Hälfte verringert hat. Sie bestimmt, wie häufig ein Präparat verabreicht werden muss, damit ein ausreichend hoher Wirkspiegel vorhanden ist. Je kürzer die Halbwertszeit, desto häufiger muss ein Faktorpräparat injiziert werden. Je länger die Halbwertszeit, desto seltener sind die Injektionen notwendig.

Standard-Faktorpräparate verfügen über eine Halbwertszeit, die im Rahmen der Prophylaxe etwa 3 oder 4 Injektionen pro Woche erfordert. Dieser Injektionsrhythmus ist für einige Patienten akzeptabel, während er für andere ungeeignet ist, etwa weil die Injektionstermine häufig mit Arbeitszeiten kollidieren. Diese Patienten können mitunter von EHL-Präparaten mit größerem Injektionsintervall profitieren. Je nach individuellen Lebensumständen kann so die Therapiezufriedenheit verbessert werden.

Weitere Informationen dazu findest Du auch in unserem Flyer „Informationsbroschüre Hämophilie A“ 

Junge Frau im Labor schaut durch Mikroskop

Biotechnologie

Die Biotechnologie ist aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Sie ermöglicht es, Erbanlagen zu analysieren und Krankheitsursachen aufzudecken. Zudem können mit ihrer Hilfe Eiweiße (Proteine) produziert werden, die mit klassisch-chemischen Verfahren gar nicht oder nur sehr schwer herzustellen sind. Biotechnologisch hergestellte Eiweiße werden auch als rekombinante Proteine bezeichnet.

Biotechnologisch hergestelltes Eiweiß (H3)

Biotechnologisch hergestellte (rekombinante) Präparate enthalten als Wirkstoff verändertes menschliches Eiweiß (Protein). Eiweiße sind Hauptbestandteile des menschlichen Körpers und werden normalerweise in Körperzellen gebildet. Bei einem Fehler in der Erbsubstanz – wie etwa bei Hämophilie – wird zu wenig von einem bestimmten Eiweiß hergestellt, woraus eine chronische Erkrankung resultieren kann.

Für Hämophilie A stehen hochwertige rekombinante Faktor-VIII-Präparate zur Verfügung, die nach höchsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards hergestellt werden.

Vorteile der Biotechnologie (H3)

Früher konnte Faktor VIII nur aus menschlichem Spenderblut gewonnen werden (plasmatisches FVIII bzw. pdFVIII). Eiweiße kommen aber i. d. R. nur in winzigen Mengen im menschlichen Körper vor und können deshalb nur schwer isoliert werden. Hier kommt die Biotechnologie zum Zuge: Das fehlende menschliche Eiweiß lässt sich im Bioreaktor rekombinant herstellen. Damit entfällt die aufwendige Isolierung dieses Eiweißes aus dem Blut.

Seit über 10 Jahren schon wird FVIII als rekombinanter Faktor VIII (rFVIII) biotechnologisch ohne Spenderblut erzeugt. Dabei übernehmen Zellen von Säugetieren die Produktion von menschlichem Faktor VIII. Im Vergleich zum Faktor aus Spenderblut wird das rekombinante Faktor-VIII-Eiweiß hochrein gewonnen. Dies erhöht den Schutz vor bekannten und noch unbekannten Viren sowie neuen Krankheitserregern. Der biotechnologisch hergestellte (rekombinante) Faktor VIII (rFVIII) steht in hoher Qualität und in ausreichender Menge zur Verfügung.